Sestine, Sextine

geschrieben von SergeD. (18.09.2010)


(von lat. sextus bzw. ital. sesto = sechster)
Allgemein Bezeichnung für eine sechszeilige Strophe, im besonderen aber für eine romanische, ursprünglich provenzalische (Karl Vossler) Gedichtform, die als eine der artifiziellsten überhaupt gilt.
Im Italienischen ausgebildet von Dante und Petrarca, gelangt die S. in der Barockzeit auch nach Deutschland.

In der Grundform besteht die S. aus 6 Strophen zu je 6 Zeilen, an die sich ein Dreizeiler als Coda (oder "Geleit") anschließt. Dabei sind die einzelnen Strophen in sich ungereimt. (Reimstrophen finden sich allerdings als Variante seit dem 16. Jhdt. ebenfalls.)

Die Endwörter der Verse der 1. Strophe werden in den folgenden Strophen in veränderter Reihenfolge wiederholt, so daß alle Strophen untereinander durch identische Reime verbunden sind.

Die Art der Reimung kann nach zwei verschiedenen Schemata erfolgen, einem einfachen und einem komplizierteren.
Für beide gilt, daß das Endwort des letzten Verses einer Strophe zum Endwort des ersten Verses der folgenden Strophe wird. Bei der einfacheren Form ergibt sich dadurch eine Verschiebung der Reime ums eins:
1. Strophe: 1,2,3,4,5,6
2. Strophe: 6,1,2,3,4,5
3. Strophe: 5,6,1,2,3,4
usw.

Die zweite, schwierigere Form hat folgendes Schema:
1. Strophe: 1,2,3,4,5,6
2. Strophe: 6,1,5,2,4,3
3. Strophe: 3,6,4,1,2,5
4. Strophe: 5,3,2,6,1,4
5. Strophe: 4,5,1,3,6,2
6. Strophe: 2,4,6,5,3,1

In der dreizeiligen Coda (dem "Geleit") werden sämtliche 6 Reimwörter in der Reihenfolge der 1. Strophe noch einmal wiederholt, und zwar so, daß sich drei in der Mitte und drei am Ende der Verse befinden:
Coda, 1. Zeile: ... Reimwort 1 ... Reimwort 2
Coda, 2. Zeile: ... Reimwort 3 ... Reimwort 4
Coda, 3. Zeile: ... Reimwort 5 ... Reimwort 6

Als Versmaß wird der Endecasillabo (im Deutschen dessen Pendant, der fünfhebige Jambus) verwendet, im Barock bevorzugt der Alexandriner.

Nach Paul/Glier besteht der Reiz der S. im "hohe[n] Maß spielerischer Beweglichkeit der Sprache und Gedankenführung innerhalb eines streng festgelegten Rahmens". Die Klangwirkung des Reimes spielt im Vergleich dazu eine untergeordnete Rolle, weil die Reime (im o.g. Normalfall von 6 untereinander nicht reimenden Zeilen) aufgrund der großen Abstände zwischeneinander kaum noch als solche wahrgenommen werden.

Quellen:
Karl Vossler: Dichtungsformen der Romanen
Otto Paul, Ingeborg Klier: Deutsche Metrik
Otto Knörrich: Lexikon lyrischer Formen