Der Sonettenkranz

geschrieben von SergeD. (30.12.2011)


Der Sonettenkranz

Der Sonettenkranz setzt sich, wie sein Name schon sagt, aus Sonetten, und zwar genau 15 Stück, zusammen. Deshalb seien kurz die Charakteristika des Sonetts rekapituliert:

Das Sonett

Das Sonett ist ein Gedicht aus 14 Zeilen mit einer vorgeschriebenen Reimanordnung. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem italienischen (petrarkistischen) und dem sog. Shakespeare-Sonett.
Das petrarkistische Sonett besteht aus zwei Quartetten mit jeweils umarmendem Reim und nur zwei Reimwörtern (abba). Daran schließen sich zwei Terzette mit relativ freiem Reimschema und zwei oder drei Reimwörtern an. Schema:

abba - abba - ccd - cdd oder auch:
abba - abba - cdc - dcd usw.

oder mit drei Reimen in den Terzetten:

abba - abba - cde - cde oder auch:
abba - abba - cde - edc usw.

Das englische oder Shakespeare-Sonett besteht aus drei Quartetten, die jeweils Kreuzreim aufweisen, aber untereinander nicht dieselben Reime besitzen. Den Abschluß bildet ein siebenter Reim in paariger Anordnung, der seinerseits nicht mit einem vorhergehenden reimt. Schema:

abab - cdcd - efef - gg

Der Vers des Sonetts ist traditionell der Elfsilbler (Endecasillabo). Als die Franzosen im 16. Jhdt. das Sonett als Gedichtform von den Italienern übernehmen, bringen sie allerdings ihren „Klassikervers“, den Alexandriner, darin ein, den wiederum zunächst dann die Deutschen übernehmen (17. Jhdt.), die sich ja an der französischen Literatur orientieren.

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Ob jemals ein Sonettenkranz aus Shakespeare-Sonetten verfertigt worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Er dürfte aber aufgrund des wesentlich freieren Reimschemas weit einfacher herzustellen sein als ein petrarkistischer. Die folgenden Erläuterungen beziehen sich also auf einen Sonettenkranz aus petrarkistisch gebauten Sonetten.

Kern und Keimzelle des Sonettenkranzes ist das 15., das sog. Meistersonett.
In ihm finden sich alle Anfangs- und Schlußzeilen der 14 vorhergehenden Sonette gemäß ihrer Reihenfolge wieder:
Vers 1 des Meistersonettes entspricht Vers 1 von Sonett 1
Vers 2 des Meistersonettes entspricht Vers 1 von Sonett 2
Vers 3 des Meistersonettes entspricht Vers 1 von Sonett 3
usw.

Es kommt allerdings noch eine weitere Feinheit hinzu:
Die Einzelsonette (1 - 14) schließen jeweils mit dem 1. Vers des darauffolgenden Sonettes ab. Da dieser Vers aber auch der nächste des Meistersonettes ist, ergibt sich folgendes Schema:

Sonett 1
Vers 1 = Meistersonett, Vers 1
Vers 14 = Meistersonett, Vers 2 = Sonett 2, Vers 1

Sonett 2
Vers 1 = Meistersonett, Vers 2 = Sonett 1, Vers 14
Vers 14 = Meistersonett, Vers 3 = Sonett 3, Vers 1

Sonett 3
Vers 1 = Meistersonett, Vers 3 = Sonett 2, Vers 14
Vers 14 = Meistersonett, Vers 4 = Sonett 4, Vers 1
usw.

Also nochmals: Jeder Schlußvers der Sonette 1 bis 14 ist zugleich der Anfangsvers des darauffolgenden.
Die Kreis- bzw. Kranzstruktur ergibt sich daraus, daß der Schlußvers des 14. Sonetts wiederum identisch ist mit dem ersten Vers von Sonett 1; es könnte also wieder von vorne losgehen. Das tut es aber nicht; denn an Sonett 14 schließt sich das \"Meistersonett\" an (dessen erster Vers ja mit dem Anfangsvers von Sonett 1 identisch ist).
Im Meistersonett kehren nun sämtliche bisherigen Anfangs- und Schlußverse der Sonette 1 bis 14 in ebendieser Reihenfolge wieder. Der letzte Vers des Meistersonetts ist der erste Vers von Sonett 14, der Schluß von Sonett 14 der erste Vers des Meistersonetts.

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Wie schreibt man einen Sonettenkranz?

Aus dem oben Gesagten ist bereits ersichtlich, daß die kompositorische Keimzelle eines Sonettenkranzes nur das \"Meistersonett\" (also Numero 15) sein kann, da sich aus ihm alle Anfangs- und Schlußzeilen der 14 vorausgehenden Sonette herleiten. Das macht die Arbeit insofern einfach, als mit der Fertigstellung des \"Meistersonetts\", die ja ganz am Anfang steht, 99% der Arbeit getan ist. Der Rest ist Fleißarbeit. Allerdings erfordert das Verfassen dieses \"Meistersonetts\" Aufmerksam- und eine gewisse technische Fertigkeit (deshalb heißt es ja auch Meistersonett). Es gilt nämlich zu bedenken, daß jeder einzelne Vers des Meistersonetts grammatikalisch wie satzstellungsmäßig sowohl zum Anfangs- als auch zum Schlußvers eines der vorhergehenden Sonette taugen muß.
Ein Tip aus der Praxis: es empfiehlt sich, im Meistersonett Sinneinheiten mit dem Versende abzuschließen; d.h. 14 relativ eigenständige Verse zu bilden; denn sie müssen sich ja alle einzeln, Vers für Vers, im Ablauf des Kranzes bewähren.
Und noch\'n Tip aus der Praxis: es empfiehlt sich ebenso, im Oktett des Meistersonetts keine allzu ausgefallenen Reimwörter zu gebrauchen. Sie müssen mindestens 6 Variationen ermöglichen, wie folgendes Schema veranschaulicht:

Meistersonett:
A1/B1/B2/A2 - A3/B3/B4/A4 - C1/D1/E1 - C2/D2/E2

Sonett 2:
B1xxb1 - b2xxb3 - yzb4 - yzB2

Man benötigt also außer den beiden \"Meistersonett\"-Reimen B1 und B2 noch die alternativen \"Binnen\"-Reime b1, b2, b3 und b4. Dasselbe gilt für die A-Reime.

Als Anschauungsmaterial in der LE sei verwiesen auf die Kränze:
O du fröhliche …
oder auch aus jüngster Zeit
Gottlose Christmette

Und noch ein Trost aus der Praxis:
Nachdem ich meinen allerersten Sonettenkranz fertig hatte - was zwar schon über 25 Jahre her ist, aber mir dennoch sehr gut in Erinnerung -, habe ich eigentlich geschworen, mir das nie, nie, nie wieder anzutun.
Woraus man sehen kann:
Man soll nie \"nie\" sagen - und:
Übung macht den Meister.